192 Seiten
176 Abbildungen
Großformat 24×31,5 cm,
schweres Bilderdruckpapier,
durchgehend Duplex gedruckt,
gebunden mit Schutzumschlag,
mit einem Vorwort von William E. Ewing
und einem Text von Recha Jungmann
Preis: 39,90 Euro
ISBN: 3-88769-124-5
Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, 1998
Die Presse:
“Für Thomas Karsten hat Erotik nichts Dramatisches, eher etwas Leichtes und Heiteres, und den Frauen, die sich für seine Aktfotos in Positur stellen, merkt man ihr Vergnügen an …”
(Die Zeit)
“Diese Bilder kommunizieren mit dem Betrachter, sind lebendig und dadurch ein Triumph der alltäglichen Schönheit … so oder so ähnlich würde man die eigenen PartnerInnen auch gerne ins Bild setzen.”
(Hersfelder Zeitung)
Fleisch statt Form
(Vorwort von William A. Ewing)
Eines der beständigsten, vielfältigsten und meist diskutierten Motive, das sich durch die Kunstgeschichte zieht, ist der Akt – oder, um dieses Wort einmal von seinen politischen Inhalten und ästhetischen Ansprüchen zu befreien, – der nackte menschliche Körper. Die Besänftigung von magischen Kräften, moralische Belehrung, wissenschaftliche Forschung, religiöse Indoktrination, technische Herausforderung, erotische Erregung, das Schockieren spießbürgerlicher Empfindsamkeiten – dies sind nur einige der mannigfaltigen Absichten, die die Bildermacher bewegten, seit der prähistorische Mensch vor 30.000 Jahren die erste „Venus“ in Kalkstein ritzte.
Die Photographie hat diese große Tradition noch ausgedehnt und bereichert. Wenn man ihre vergleichsweise kurze Geschichte betrachtet, ist es tatsächlich auffällig, wie weit verbreitet dieses Motiv ist und wie oft der nackte Körper mit den besten Arbeiten der großen Meister in Verbindung gebracht wird. Man denke nur an Man Ray, Cunningham, Weston, Mapplethorpe oder Witkin. Ähnlich wie in der langen Tradition der Malerei und der Bildhauerei, ist einer der faszinierendsten Aspekte des Genres die Beziehung zwischen dem Photographen und seinem Modell – schließlich lag, historisch gesehen, die Darstellung von Akten meist in den Händen männlicher Photographen.
Was treibt einen Photographen, wenn er sich einem nackten menschlichen Körper gegenüber sieht? Die Motive sind unterschiedlich: das eigene Verlangen, ein Kunstwerk zu erschaffen, oder Geld, oder Pornographie oder vielleicht auch das Bedürfnis, Liebe zu zeigen. Es kann sich dabei um professionelle Photographen und Modelle handeln oder um Amateure, Fremde oder Freunde. Doch gleich in welcher Beziehung sie zueinander stehen, es besteht immer ein wechselseitiger Austausch zwischen ihnen. Die erfolgreichsten Kunstwerke scheinen sich aus den photographischen Transaktionen zu ergeben, in denen ein bestimmtes psychologisches Gleichgewicht erreicht wird, das heißt, wenn der Photograph, ohne die ästhetische Kontrolle zu verlieren, seinen Modellen die Zeit und den Raum läßt, sich selbst darzustellen.
Thomas Karsten ist es gelungen, diesen Balanceakt mit sicherer Gelassenheit zu vollziehen. Seine weiblichen Modelle ähneln in keiner Weise den Objekten, die man gemeinhin mit der dominanten bildlichen Tradition assoziiert. Diese Tradition bildet „die Frau“ als gut entwickelt und passiv ab, stellt sie gleichgültig in idyllische Landschaften oder präsentiert sie verloren in erotischen Träumereien. Ebensowenig ähneln Karstens Modelle den glänzenden, geistesabwesenden Sirenen aus Playboy und Vogue. Bescheidenheit, Weiche und Fügsamkeit, diese zunehmend gebrochenen Ideale der Weiblichkeit, die lange Zeit das wichtigste Ausgangsmaterial für Akte waren, das sind Qualitäten, mit denen auf diesen Seiten kurzer Prozeß gemacht wird. Die hier abgebildeten Frauen sind ganz offensichtlich Individuen, die Karsten kennt und – noch wichtiger – die er mag. Er lädt uns ein, durch und durch moderne Frauen zu betrachten, die sich mit ihrem Körper wohl fühlen und offen mit ihrer Sexualität umgehen können. Mit dieser dionysischen Betonung der Sinnlichkeit und des Fleisches, stellt „Love Me“ daher einen willkommenen Gegenpol zu einem Genre dar, das allzu oft das apollinische Ideal der reinen äußeren Form betonte.
(August 1998, William A. Ewing)
William A. Ewing ist eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Photographie. Er hat Ausstellungen zusammengestellt u.a. für das Museum of Modern Art, New York; Centre Pompidou, Paris; Montreal Museum of Fine Arts; Palazzo Fortuny, Venedig; International Center of Photography, New York. Er ist jetzt Direktor des Musée de I`Elysée, Lausanne.
Das bin auch ich
(Text von Recha Jungmann)
Noch nie habe ich so viel weibliche Sinnlichkeit und Süße und Schönheit in so vielen Facetten in einem einzigen Buch gesehen. Als ich zum ersten Mal einige von Thomas Karstens Aktphotos in einer Ausstellung sah, und vor jedem einzelnen lange stehen blieb und schaute und schaute, und dann wieder zum ersten ging und wieder zum zweiten – ich glaube es waren fünf –, versuchte ich mir eine Antwort zu geben auf das, was mich daran so fesselt, so fasziniert. Es war nicht die Nacktheit an sich, die mich wie magisch anzog, sondern diese Frauen, wie sie sich mir zeigten, sich darstellten, so unterschiedlich jede, und jede mir doch so vertraut. Ihre Körper, ihre Augen, ihre Gesten sprechen mit mir, als ob ich es sei, die hinter der Kamera steht, und gleichzeitig fühle ich mich als eine von ihnen. Ich glaubte diese Frauen zu kennen, sie schon einmal gesehen zu haben, auf der Straße im Vorbeigehen, auf einer Party, in einem Konzert, aber nie konnte ich sie so ungestört betrachten, so nackt, so intim, so lange ich möchte. In manchen Frauen kann ich mich wiedererkennen, als ob ich in einen Spiegel schaue, wie die Frau, die aus dem Wasser steigt, mit ihren Händen noch die Sanftheit des Wasser spürend kommt sie mir entgegen, mit geschlossenen Augen. Oder jene, die langgestreckt auf einem Teppich liegt, den Himmel in ihrem Körper. Oder jene, die zusammengekauert auf dem Boden hockt und zu mir heraufschaut, unsicher, ob es auch wirklich ihr Wunsch ist, sich mir unverhüllt zu zeigen. Dann wieder sind es nur Gesten, die mir vertraut sind, wie die Hände schützend zwischen die Beine zu legen, die Schamhaare zu bedecken ohne wirklich Scham zu empfinden, es ist eher Scheu, gepaart mit dem Wissen um die Schönheit meines Körpers, den ich nicht vollständig preisgeben möchte, dieses Hin und Her, dieses Spiel: sich dem Gegenüber zu öffnen und sich wieder zu verschließen. Ich kenne das Empfinden, wenn man die Hände auf die Brüste legt und nicht nur, um sie vor fremden Blicken zu schützen, sondern auch, weil es mir gefällt sie anzufassen, ihre Weichheit, ihre Rundung zu spüren, und ich kenne es auch, den Körper schmücken zu wollen mit Ketten, mit Strümpfen, Schuhen und Schleiern, nur um meine Nacktheit noch verführerischer zu gestalten. Wie gerne wäre ich die Frau, die ganz nackt auf dem gemähten Kornfeld steht, im Hintergrund ein dunkler Wolkenhimmel mit dramatischem Licht. Ich spüre den Wind auf meiner Haut, und mein nackter Körper und die weite Landschaft sind eins. Und dann wiederum gibt es Frauen, die sich ganz anders darstellen, als ich mich darstellen würde. Da gibt es eine, die ich besonders lustig finde undfrech, wie sie mit der Kamera – mit mir, der Betrachterin – kokettiert; sie öffnet ihre Beine so lustvoll und weit und lacht dabei und zwinkert mir zu; sie scheint solch verführerische Posen zu kennen und spielt sie mir vor mit Straps und Strümpfen und Stöckelschuhen. Eine andere hebt ihren weiten rüschigen Rock und zeigt mir herausfordernd ihren Po, während eine andere auf dem Boden hockt mit scheinbar geschlossenen Beinen, mir den Blick frei gibt auf ihre Schamlippen, ganz ohne Scham.
Manche Frauen zeigen mir ihren Körper freimütig und nackt, während ihr Blick mich abweist; auch dies finde ich reizvoll. Doch so unterschiedlich die Frauen auch sind und sich darstellen, so scheint es mir doch, als ob ich jede Einzelne in ihrem Wesen oder besser gesagt: in ihrem weiblichen Wesen erfühlen könnte.
Oft schon habe ich gehört, daß der weibliche Körper schöner sei, als der männliche. Ich konnte das nicht so sehen, für mich waren beide in ihrer Verschiedenheit reizvoll. Doch als ich die Bilder in diesem Buch betrachtete, wo zwei oder drei, auf einem sogar vier Frauen ineinanderverschlungen daliegen, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, daß ein Frauenkörper wirklich schöner sein kann als der männliche. Es sind vor allem die Brüste, die das Gleichmaß ergeben, aber auch die Rundungen von Schultern und Hüften, und nicht zu vergessen die Schamhaare: manche leicht und duftig, andere wie tiefdunkles Moosgeflecht auf alabasterfarbenem Grund. Ein Photo gefällt mir besonders, wo zwei Frauen auf einem steinigen Boden liegen, nebeneinander, die Augen geschlossen, und jede berührt nur mit einer Hand den Körper der anderen. Ich glaube nicht, daß zwei Männerkörper nebeneinander so viel Sanftheit und Ebenmäßigkeit und Hingabe ausstrahlen können, wie diese beiden Frauen. Auch Haare können Ausdruck von weiblicher Schönheit sein. Ich denke dabei an das Photo von der Frau, die ihren Kopf leicht nach unten beugt und ihre dunkelglänzenden Haare fallen nach vorn über die Schulter bis zu den Brüsten und verdecken geheimnisvoll das Gesicht und unter durchsichtigem Stoff ihr nackter Körper. Und oft ist auch die Haut so weiß und zart und die Brüste so lieblich, daß ich nicht genug bekommen kann, sie zu betrachten. Dann sind es wieder die Schamhaare, die mich neugierig machen: manche rasiert und reduziert zu netten dunklen oder hellen Fleckchen, die etwas Betörendes haben, ebenso die natürlich gewachsenen – mit welcher Neugier betrachte ich auch sie, denn alle sind nie gleich in Form und Dichte und Ausdruck, oder da, wo gar keine Haare sind, sehe ich nur eine mädchenhafte Nacktheit, nett und süß. Doch bei allen wunderbaren und wundersamen Details darf ich nicht vergessen zu erwähnen, daß es oft die Augen sind, ihr Ausdruck, die für mich etwas Unergründliches, ja fast Magisches bekommen in Kombination mit der Nacktheit. Ja, es ist nicht nur die Nacktheit, die mich fesselt, sondern die so unterschiedlichen Persönlichkeiten, die sich mir in diesem Buch vorstellen. Denn immer gibt es eine Verbindung zwischen Körper, Person und wie sie sich mir zeigt und auch vor welchem Hintergrund. Da gibt es Felsen, Wasser, eine zerbröckelte Mauer, ein Kornfeld oder einfach nur schwarz. Es dauerte eine Weile bis mir bewußt wurde, wie überzeugend die Umgebung der Ausstrahlung der jeweiligen Frau entspricht, weil sie so unauffällig ist: wie selbstverständlich scheint es mir, daß die eine aus dem Wasser steigt, die andere rücklings auf einem Stuhl sitzt und wieder eine andere an einem geöffneten Fenster steht … Auch die Utensilien faszinieren mich und wie genau sie zu dem Wesen der Frau zu passen scheinen, die sie trägt oder die mit ihnen spielt, wie die Frau mit der Schlange. Perlenketten und Kettchen überhaupt und Ringe – wie der Ring mit dem Auge –, unterstreichen die Charaktere, auch schwarze Stiefel und schwere Schuhe, eine durchsichtige oder schwarze Plastikhülle, und dann die verschiedensten Bänder und Schnüre und wie sie um den Körper geschlungen sind. Doch immer scheint das Drumherum sehr einfach, nur dazu da, das Wesen jeder Frau, ihre Erotik, ihre Träume zu vervollständigen. Das Portrait einer Frau neben dem Photo ihres nackten Körpers, das ist für mich letztlich auch die Aussage des ganzen Buches: Körper und Persönlichkeit sind nicht zu trennen. „Love me“ ist ein schöner und bezeichnender Titel. Doch für mich bedeutet das Buch noch mehr: Es gibt Einblick in mein weibliches Inneres und in das meiner vielen, vielen Schwestern.
Normalerweise erzeugt das Objektiv einer Kamera immer eine gewisse Distanz, speziell bei Aktphotos fühle ich mich oft unbeteiligt oder nur als neugierige Betrachterin. Doch die Frauen in diesem Buch scheinen mir zum Greifen nah, als ob ich mit ihnen im selben Raum sei oder in der gleichen Landschaft. Ich fühle keine Distanz. Sie schauen mich an, und ich meine zu wissen, was sie mir sagen wollen, über sich, und wie sie ihre Weiblichkeit und ihren Körper empfinden, und selbst wenn sie mir nur ihren Rücken zeigen, so bleibt es ein Gespräch mit der Kamera, mit mir.
Vielleicht hat das Gefühl von Nähe, das ich beim Anschauen dieser Photos empfinde, auch etwas damit zu tun, daß ich selbst eine Frau bin und Frauen sehr gut kenne, auch die Nacktheit von Frauen, denn ich bin nur unter Frauen aufgewachsen. Ja, vielleicht bin ich auch deshalb so verzaubert von diesen Photos, weil die Art und Weise, wie Thomas Karsten Frauen sieht und aufnimmt, eine Intimität wiederspiegelt, die ich nur erlebt habe, wenn sich Frauen ganz unter sich fühlen. Ich denke dabei an ein türkisches Bad in Tunesien, wo ich fast einen Tag nur unter nackten oder nur sehr wenig bekleideten Frauen verbrachte, und es war nicht nur die Hitze und der Dunst des heißen Wassers, der einen märchenhaften gelben Schleier um all die Frauen hüllte – die da saßen, hockten oder lagen oder in Grüppchen herumstanden –, der diesen unvergeßlichen Zauber in mir auslöste. Es war auch die Intimität, sich so nah und nackt in den gleichen Räumen zu bewegen, und die Stunden vergingen, ohne daß ich es merkte. Ich habe auch nicht weiter darüber nachgedacht, warum ich mich unter diesen Frauen so warm und aufgehoben fühlte. Nur an einen Gedanken erinnere ich mich: „Ich hätte nichts dagegen, in einem Harem zu leben!“
Ich könnte mir vorstellen, daß das Buch bei Männern, die es betrachten, einen umgekehrten Zauber auslöst: Er schaut in diese intime, so andere Welt, wo er nur manchmal – oder vielleicht nie wirklich? – Zugang hat. Er schiebt einen Vorhang auf die Seite und wirft einen Blick in Räume, in denen es nur Frauen gibt, diese und jene und jede so anders. Ein Paradies für sich. Ist es das, was Thomas Karsten mit seiner Kamera tut: Er führt uns in ein Frauenparadies? In einen Harem? Denn Harem heißt ja eigentlich nur ‚innen‘, ‚Innenwelt‘, im Gegensatz zur Außenwelt. Hier gibt es keine Heimlichkeiten, nichts Verbotenes. Sie schauen uns an, diese Frauen, sie nehmen uns wahr, aber sie lassen sich nicht stören, im Gegenteil, sie verlocken uns: noch genauer, noch tiefer zu schauen, durch ihren Körper in ihre Seele, wie in tausend Spiegel. Ich möchte zu ihnen gehören, ich möchte ebenso zärtlich betrachtet werden, ganz ohne Kleider, ganz nackt.
(Juli 1998, Recha Jungmann)
Recha Jungmann, Filmautorin und Regisseurin, sie lebt in Frankfurt/Main.