Photographien 1982-2017
108 Seiten
94 Abbildungen
XXL Format 30×30 cm,
200g schweres Kunstdruckpapier,
4 farbig CMYK
Hardcover
Fotobuch mit Einführungstexten von
Andreas J. Mueller und Fritz Franz Vogel
Sprache: Deutsch
Dieses Buch erscheint anlässlich einer Ausstellung
im Deutschen Fotomuseum (www.fotomuseum.eu)
vom 6. Januar 2018 – 3. Juni 2018
in einer limitierten und vom Fotografen signierten Auflage von 300 Exemplaren
mit einem eingelegten Original Fotoabzug im Format 21 x 30 cm
ISBN: 978-3-03858-512-1
edition ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ, 2018
Sonderpreis bis zum Ende der Ausstellung 98,00 Euro, danach 148,00 Euro
nur direkt hier zu bestellen: info@thomaskarsten.com
Im Bereich der erotischen Fotografie zählt Thomas Karsten gegenwärtig zu den
interessantesten Vertretern des Genres. Besonderes Merkmal seiner Aktfotografie ist es,
dass er seine Modelle mit sichtlichem Vergnügen und Vertrauen zum Fotografen sich
selbst darstellen lässt, ohne dabei die ästhetische Kontrolle zu verlieren. Mit fast
femininem Blick beobachtet er durch seine Kamera Frauen und Frauenpaare, die gerade
dadurch schön und sinnlich erscheinen, weil sie sich und ihren Körper völlig unverstellt präsentieren. So entstehen subtile erotische und intensive Momente, wie sie in der
Aktfotografie nur selten anzutreffen sind. Zweifellos profitiert Thomas Karsten dabei
von der Tatsache, dass moralische und sexuelle Freizügigkeit, Enthemmung und Zwanglosigkeit
in den vier Jahrzehnten des Entstehens dieser Fotografien sich in einem Zeitalter großmütiger
Liberalität entfalten konnten, wie es die Menschheit seit der Antike nicht mehr erlebt hat.
Differenzierungen und Entwicklungen nachzuspüren, die sich während dieser Epoche
sexueller Toleranz zugetragen haben, war die besondere Idee einer Ausstellung im
Deutschen Fotomuseum und Kuratorin Kerstin Langner hat den Versuch unternommen, durch
subtile Gegenüberstellung Bildpaare zu schaffen, die dem Betrachter die Augen für Nuancen
öffnen, die das Einzelbild nicht preisgibt. Die Ausstellung ist nicht nur eine Retrospektive
mit Werken des Künstlers Thomas Karsten, sondern auch ein Blick zurück in die Zeit eines
historischen Wandels der öffentlichen Sexualmoral und einer bemerkenswerten Enttabuisierung
des Erotischen. Sie beschränkt sich nicht nur auf das Sichtbare, sondern suggeriert dem
Betrachter Kraft seiner Phantasie und seines Vorstellungsvermögens auch Unsichtbares.
Andreas J. Mueller
EBENBILDER, NACKT GEPAART
Eine Methode der kunsthistorischen Wissensproduktion besteht im Ver-
gleichen. Diese Technik, die Ästhetik von Werken zu erörtern und ihre
Referenzen und Anspielungen zu überprüfen, wird zwar nicht mehr so
gepflegt wie früher. Trotzdem ist das dialektische Verfahren verbürgt.
Gerade im Abgleich ergeben sich Mehrwerte, die bei der Wahrnehmung
einer reinen Bildabfolge nicht gegeben sind. Durch den Wechsesl der
Bezüge, durch die Perspektivenänderung, durch den polyfokalen Blick,
durch die Schärfentiefe des Betrachtens erzielt man je andere Fragestel-
lungen und somit auch Antworten.
Diptychen sind in der Fotogeschichte längst nicht so häufig wie in der
Kunstgeschichte; die Fotografie war schon sehr früh auf die serielle Ab-
bildung fixiert, immer war noch ein weiteres Bild möglich, früher auf dem
Film, heute auf dem digitalen Datenträger. Wer nicht das beste Foto auf
dem Kontaktbogen anstrich und vergrösserte, der verdichte vielleicht
seine Bilder zu visuellen Gedichten wie Heinz Cibulka, zu formaltypologi-
schen Studien wie Bernd und Hilla Becher, zu psychologisch fundierten Bil-
derzählungen wie Duane Michals oder zu grossen gesellschaftskritischen
Tableaus wie Jürgen Klauke. Diptychen als Doppelbilder sind jedoch eher
selten, denn sie sind formal nicht so spannend wie Triptychen, Serien,
Tableaus oder Bildcluster, die aufgrund der Teilung in eine für wichtiger
behauptete Zentraltafel mit Flügeln, Satelliten oder näher und weiter
zugeordneten Bildern immer auch ein Blickregime und damit eine Erzäh-
lung installieren, bzw. hervorrufen.
Bei Diptychen, die durch die Doppelseitigkeit eines Buches, resp. den
Bund als Scharnier schon fast von selbst gegeben ist, findet vor allem eine
Wechselwirkung zwischen zwei Bildseiten statt. Es ist das Auge, das nicht
mehr ein Bild ums andere anschaut wie in der üblichen Katalogstruktur,
sondern die Doppelseite als Einheit betrachtet und einer gegenseitigen
Wechselwirkung der Bilder nicht ausweichen kann/soll. Das Auge flippt,
switcht, springt hin und her. Dank des unmittelbaren Abtastverfahrens
keimt und gedeiht im Quervergleich eine Aussage.
Was steckt hinter den Bildpaaren von Frauen, die hier zusammengestellt
wurden? Gemäss Bildunterschriften erkennen wir auf der linken Seite Akt-
bilder aus den Jahren 1982 bis 2001, alle in Schwarzweiss, vielfach im
quadratischen Format. Aufgrund der Mittelformatkamera sind die Bilder
harmonisch, ruhig, in vielen Fällen aufgrund der dunkleren Vignettierung
an den Rändern gar hermetisch geschlossen. Auf der rechten Seite sind
Bilder neueren Datums aus den Jahren 2002 bis 2017, in Farbe gehalten,
bunt, rechteckig und damit eher dynamisch. Die Bilder sind zumeist mit ei-
ner hochauflösenden, digitalen Spiegelreflexkamera mit ihrem 2:3-Format
aufgenommen und nicht mehr mit einer analogen Mittelformatkamera.
Dadurch ergibt sich tendenziell eine dynamischere Bildwirkung.
Wenn wir weiter feststellen, dass auf den «alten» Bilder die abgebildeten
Frauen in sich ruhen, ihr Konterfei porträtartig wirkt, als ob ihre Identi-
tät abgebildet sei, so zeigen sich die bunten Bilder frecher, lasziver. Die
Frauen getrauen sich mehr, zeigen sich mehr. Der Fokus liegt weniger
auf dem Kopf, die Rahmung ist nicht mehr entlang der Körperhaltung
aufgebaut. Man hat den Eindruck, auch aufgrund der Farbigkeit, dass
nun der Körper in seinem (emotionalen) Ausdruck im Vordergrund steht.
Verkürzt gesagt: Nicht der Kopf macht die Person aus, sondern deren
Körper. In den älteren Fotos scheint der Fotograf etwas zu suchen, die
Person herauszubringen, ihr eine Bühne zu geben sich zu entwickeln, sie
zum Ausdruck der intimen Nacktheit zu bewegen, aus sich herauszufin-
den. Heute ist die Fotosituation gegeben: Der Fotograf muss nichts mehr
suchen, die Modelle, die sich als models verstehen, äussern sich in jeder
Gestik, in jeder Haltung. Eher ist es so, dass der Fotograf die Narzissmen
einfangen, diese nackte Intimität, die körperliche Blösse in ihrem Zeige-
gestus, in ihrer offensiven Selbstdarstellung zähmen, zügeln und kana-
lisieren muss. Nicht er zeigt eine junge Frau, sondern die abgebildete
Person zeigt sich.
Über die Hundertschaft an Bildern lässt sich ein Wandel im Umgang
mit dem eigenen Körper feststellen. Die Frauen zeigen sich heute
offensiver, weniger bedacht auf ihre Identität als vielmehr bewusst als
körperlich-sexuelles Wesen. Bei der heutigen Fotografie handelt es sich
weniger um Aktporträts, dessen Charakteristika Thomas Karsten als ei-
ner der ersten konsequent aus der Aktfotografie herausgearbeitet hat,
sondern um Körperbilder, für deren selfiegeschulten Blicke und Selbst-
wahrnehmungen die heutigen weiblichen millennials den Fotografen als
Instrument betrachtet. Dieser Blick- und Funktionswechsel – damals der
Fotograf der sein Modell nutzt, um Aktporträts zu finden, heute das Mo-
dell, das den Fotografen nutzt, um kräftige und wirkungsvolle Bilder von
sich zu haben, die selbstgesteuert nicht zu haben sind – ist offensichtlich.
Der gesellschaftliche Wandel, vom Aktporträt des Fotografen zum
Körperakt des Modells ist hier durchaus sichtbar, auch wenn der Fotograf
als Profi der ästhetischen Wirkung in beiden Fällen das Zepter in der
Hand hält und die Szenerie kontrolliert, überwacht, ausreizt und aus-
leuchtet, so ist seine Rolle eher die eines Stellvertreters, von dem ein
exklusives «Selbstbild», fast wie ein selfie erwartet wird. Wer tatsächlich
Regie führt, ist nicht immer klar zu erkennen.
A propos Licht: Auch hier stellt man fest, dass das Licht in früheren Jahren
eher studiomässig gesetzt, klarer konturiert ist, bewusst Hell und Dunkel
hervorgehoben sind. In den neueren Aufnahmen kommt viel vorhande-
nes Licht vor. Man macht ein Bild hier und jetzt, drinnen und draussen, wo
es gerade geht. Frau räkelt sich ungeniert und ohne Scham. Es braucht
keinen Schutzraum des Studios mehr: aus dem Schwarz geschälte Person.
Nacktheit ist Ausdruck in und für den Alltag: ins Grün gelegter Körper.
Der Ursprung des Menschen, das goldene Dreieck der Lust ist übrigens
in den frühen Fotos immer irgendwo vorhanden, bisweilen versteckt,
behaart oder im Ungefähren belassen. Anders in den neueren Bildern:
Geschlechtlichkeit ist sichtbar gemacht, Voyeurismus des Fotografen und
Zeigefreude der Porträtierten treffen sich. Die blanke Scham, der rasier-
te Venushügel, die exaltierte Gestik sind Zeichen dafür, einer gewissen
Selbstverliebtheit zu frönen und sich von Kopf bis Fuss als ehrlich und
redlich darzubieten.
Der Blick auf das Doppelbild changiert also, provoziert eine Wechselwir-
kung zwischen alt und neu, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Der
Blick des Fotografen geht mit der Zeit mit. Der Fotograf «modernisiert»
sich nicht nur im Wechsel von der analogen zur digitalen Fotografie samt
ihren veränderten Arbeitsprozessen vom Chemielabor zur Bildschirm-
arbeit, vom Formalen-Studiomässigen zum Alltäglichen-Dynamischen.
Ebenso zeigt sich in der Freiheit und Uneingeschränktheit zur Selbstre-
präsentation auch eine gewisse Distanz des Fotografen zur fotografierten
Altersgruppe. Es ist nicht mehr ein gleichaltriges Gegenüber, sondern
bedeutend jüngeres.
Die Modelle sind, und dies bleibt in älteren wie jüngeren Bildern gleich,
alle in einem Alter angesiedelt, die diesen jugendlichen Drang offenkun-
dig machen. Es ist die Zeit zwischen 18 und 35. Das Selbstfindungsalter,
das Zeigealter, die Zeit der Schönheit, Attraktivität, der Öffnung. Dass
dieses visuelle Werbealter weitgehend ein weibliches Phänomen ist, ist
trotz aller Emanzipation nicht von der Hand zu weisen. Die Aktfotografie
ist zu weit über 90% eine Fotografie von Frauensubjekten. Männer haben
da wenig zu bewerkstelligen, unabhängig davon, ob Fotografinnen oder
Fotografen am Werk sind.
Thomas Karsten hat die Bilder ausgewählt für eine Ausstellung. Er kehrt
mit dem Medium Ausstellung nicht nur an einen Ort seiner ersten Fotos
zurück – Leipzig, Halle, Ostberlin, München – sondern aktualisiert mit
diesem kleinen Querschnitt, bei rund 100000 Aufnahmen im Archiv, die
seit 1980 entstanden sind, auch seine eigene Aktfotogeschichte, resp.
-biografie.
Wichtig ist zu erkennen, dass es sich hier nicht um Vergleichsbilder geht,
Bilder derselben Person zu unterschiedlichen Zeiten, sozusagen Zeitsprünge
der Biografie. Eher geht es um formale Analogien, um Bildrätsel, um
kleine Motive, die in der Fotografie damals wie heute auftauchen, und
trotzdem grössere Unterschiede erkennen lassen.
Solche fotografischen Quervergleiche und Längsschnittuntersuchungen –
wie von Fee Schlapper («Gegenüberstellung. Porträts über die Zeit», 1988),
Bernd Lasdin («Zeitenwende. Portraits aus Ostdeutschland 1986–1998»,
1998; «Westzeit-Story. Portraits aus Westdeutschland 1989–1999»,1999),
Barbara Davatz («As time goes by», 1999, 2014), Eva Mahn («Heilige
Familie», 2003), Werner Mahler («Schulklasse», 2004) oder Jeffrey A.
Wolin («Pigeon Hill: then and now», 2016) – gibt es zwar auch bei Thomas
Karsten, doch sind diese nicht so leicht zusammenzustellen, weil die foto-
grafierten Frauen, wie erwähnt, nur in einem engen Zeitkorsett für Aktauf-
nahmen zu haben sind. Danach verlieren sie ihr Interesse, tauchen ab und
unter und zeigen sich nicht mehr. Unbestritten wäre ein solches Desiderat,
Körpergeschichte im Vergleich zu sehen, die früheren Modelle aus den
1980er-Jahren wieder zu besuchen und daraus einen Bildvergleichsalbum
zu machen. Wohl würde man entdecken, wie aus dem weiblichen Jungs-
pund, aus dem Frechdachs mit gehörigem Risikoprofil, aus dem Luder
der Zeit von Sturm und Drang eine gewisse Behäbigkeit resultiert, weibli-
che «Muttihaftigkeit», oder auch Verbitterung, weil der Alterungsprozess
in unserer Gesellschaft nach wie vor als Zerfallsprozess wahrgenommen
wird. Aber eben: Gemacht ist diese Publikation (noch) nicht.
Der Körper ist ein Instrument, ein bewusster Teil, Wirkung zu erzeugen,
Lust anzuzeigen. Neugierde und Reiz sind offensive Verhaltensweisen. In
den älteren Aufnahmen sind die Frauen eher bei sich, in sich. Der Blick
von aussen wird pariert, wird gestoppt. In den Fotos jüngeren Datums
wird der Blick von aussen nicht nur zugelassen, sondern geradezu ersehnt.
Schau mich an, ich spiele mit mir, aber du bist leider nicht dabei, du darfst
leider nicht dabei sein. Der Blick geht nach aussen, soll auf einen Betrach-
ter wirken. Der Augenkontakt mit dem Betrachter erzeugt eine Wirkung
von Verbundenheit, von Vertrautheit. – Täusche ich mich oder hat die
Koketterie ebenso zugenommen? Wird die Distanz für eine Berührung
umso grösser je mehr man von sich zeigt? Zeigt frau sich, um den Mann
auf Distanz zu halten, weil dieser dank all den Debatten, Vorwürfen, Äch-
tungen, Eintrichterungen und Gerichtsprozessen weiss, dass er nur schau-
en darf?
So bleibt ein Trost: Eher stirbt die Menschheit aus als dass sie auf medial
wirksame Akte und Artefakte der Lust und List an sich verzichtet.
Fritz Franz Vogel