2005 · Yvette

80 Seiten + DVD
110 Abbildungen
Format 17,5 x 24 cm,
Leinen mit Lesebändchen und Schutzumschlag, 
fadengeheftet, mit ausklappbaren Tafeln, 
Duplexdruck mit teilweise 3 zusätzlichen Schmuckfarben
mit einem Vorwort von Alexander Scholz und einer Geschichte von Paulina Schulz
Preis: 69,- Euro
ISBN: 3-936165-32-7
Edition Vevais, 2005

direkt hier bestellen: info@thomaskarsten.com


Der Verlag über das Buch 

Die Fotos des Buches widmen sich nur einem Modell, mit dem Thomas Karsten über alle Barrieren in zehn Jahren gesprungen ist, oder besser gesagt, die Barrieren so weit von sich schob, bis alle Vorurteile moralischer Zwiespälte von der Weltenscheibe ins Unendliche des Alls fielen. Das Buch geht so in seiner Form weiter als alle bisherigen Publikationen von Thomas Karsten: zum ersten Mal finden wir dank Yvette neue Motivsujets, zum ersten Mal lernt die Figur auf der beiliegenden DVD laufen, und zum ersten Mal geht das Layout zurück in die zitierte Antike des Jugendstils oder die oben genannte Reformbewegung, und zum ersten Mal trifft Drum ´n Bass und Tekknomusik auf das Körperliche des Menschlichen, und zum ersten Mal wird eine Publikation von Thomas Karsten kultischer Akt der Zusammenarbeit von Künstlern aller Sparten. 

Vorwort von Alexander Scholz

Wenn man zuviel liebt, bleibt man zwangsläufig immer allein. 

Man steigt in den Zug und schon bei der Ankunft am Ziel hat das Gesicht der neuen Landschaft das Gefühl an den vertrauten Schoß zerstört. Von da an sind alle Dinge, die man mitgenommen hat, Souvenirs an das Gefühl der Liebe, das man spürt, daran glaubend, etwas gerade gerichtet zu haben. Aber es fällt niemandem auf, dass man hier einen Stein vom Strand entwendete oder dort den nach den Wintern ewig abfallenden Putz überputzte. 

Viele die Thomas Karsten näher kennen oder mit ihm gearbeitet haben, bestätigten mir, dass man, bei dem Versuch, sich ihm persönlich zu nähern, sich nur wie in einem Laufrad vorwärts bewegt, niemals ankommt, aufsteckt oder zumindest froh ist, einen Moment in Rast aufatmen zu können. Dabei hat noch keiner wirklich zugegeben, dass dies eine Form der Liebe sein kann, die er fordert; die er wahrscheinlich aus Angst vor dem Alleinsein fordert. Man muss ihm erliegen, seinem Wahn, seinem Perfektionismus, seiner Suche nach unserer Demut vor seinem Werk. Und man wird wahrscheinlich nie erfahren, wovor dieser liebe Mensch wirklich Angst haben könnte. So mag es auch seinen Modellen ergehen, wobei der Begriff ‚Modell’ nur als Klischee des sich ihm zur Verfügung Stellens greift. Sie beherrschen ihre Angst, solange sie vor seiner Kamera stehen. Manche kommen seit Jahren, seit Jahrzehnten, manche provozieren ihn, manche lassen sich provozieren, ein Moment inniger Auseinandersetzung, eine Liebesbeziehung, die das Modell und der Fotograf unabhängig voneinander einfordern. Vielleicht ist dies die benannte Angst oder der Weg, sie zu besiegen. Ein Souvenir an das Leben, in dem es keine Heimat, keine Ankunft, sondern nur die Suche, den Weg als Ziel gibt. Ein Abbild, das Vintage an etwas, das man nicht festhalten kann, nur auf einem Foto, auf einer Postkarte, auf einem Stück beschnitzten Holz, das in den Gezeiten vergeht, wenn man es nicht schützt, auf einem Heuschober, in einem Rahmen, aufgezogen auf eine dicke Pappe. 

Thomas muss man lieben und hassen. Beides, das machen seine Modelle, seine Fans, seine Verleger, wobei er, Distanz haltend, sich selbstsüchtig zurücklehnt und sein Archiv nach der Liebe seines Lebens, das von der Angst vor dem Verlust geprägt ist, durchforscht. Dabei rede ich von Liebe und Hass, also von ergebener Liebe, einer Hochzeit, einem Pakt, den man trotz Streites nicht brechen kann. Man ist ihm für das Leben, für Momente dankbar, will schnell fort und doch wieder und immer wieder zu ihm, um die Scham der Angst in das tiefe schwarz-weiß eines Vintages zu tauchen. 

Dabei hat er Sinnbilder geschaffen, Bilder, die wie Michelangelos Plastiken außergewöhnliche Symbole der menschlichen Würde darstellen. Manche erkennt man durch ihre nach außen strahlende Erhabenheit sofort, sie sind weltweit in allen wichtigen Veröffentlichungen über Aktfotografie zu finden; andere wiederum verharren lautlos in den bereits zahlreichen Büchern, die, durch die grenzenlose Last ihres inhaltlichen Umfangs beinahe berstend, seit vielen Jahren bei Claudia Gehrke verlegt werden. Aus diesem nicht enden wollenden Fundus erwachsen die von ihm fotografierten Geschöpfe zu einem Heer der Schönheit, der Einfachheit, der „Lust an sich“, der Emanzipation, der Eigenständigkeit in einer unendlichen Geschichte, derer Liebe sich Thomas Karsten nicht vollständig ergeben kann. Er leiht ihr sein Auge, bleibt ein Außenstehender, darauf beschränkt, seine Kamera scharf zu stellen, anstatt sich selbst immer wieder mit dem Leben zu vermählen.

Diese Distanz bestimmt auch seine Sichtweise, den Thomas Karsten-Blickwinkel. Oft wird im Hinblick auf seine Arbeit über Respekt gesprochen; auch erwähnt Thomas Karsten gern, dass er Portraits seiner Modelle erschafft: es ist eine Teilwahrheit, die den Balanceakt zwischen seiner Dienertätigkeit gegenüber den Modellen und seiner moralischen Eindeutigkeit ausübt. Dass daraus ein unverwechselbarer Stil wurde, ist meiner Meinung nach zwangsläufig: ein Thomas Karsten-Stil, durchdrungen von einfacher menschlicher Würde und dem Mut zur Wahrheit. Es ist die Thomas Karsten-Kameradistanz, oder eben der Thomas Karsten-Blickwinkel; er ist einmalig und in allen Bildern gegenwärtig, und es ist der Charakter Thomas Karsten: immer hinterfragend, ohne Auswege, direkt und doch mit nötigem Abstand; zur eigenen Deckung, zur Wahrung des Respekts gegenüber dem anderen, dabei permanent in der Angst, missverstanden zu werden. Den Beweis, dass es den Thomas Karsten -Blickwinkel oder die -Distanz gibt, haben wir spätestens jetzt angetreten, als wir seine Kontaktbögen ohne formelle Abgleiche zu digitalem Kino weiterverarbeiten konnten. Dieses Buch widmet sich nur einem Modell, dem, mit dem Thomas Karsten im Laufe eines Jahrzehnts viele Barrieren übersprungen hat, oder besser gesagt, die Barrieren so weit von sich schob, bis alle Vorurteile und moralischen Zwiespälte von der Weltenscheibe hinaus ins Unendliche des Alls entschwunden sind. Thomas hat dank Yvette besondere Fotos gemacht. Der Akt des „sich in die Hände des Fotografen Gebens“ wird hier besonders deutlich. Yvette hat, wie ich Gesprächen und seinem bisherigen Gesamtwerk entnehmen kann, die Ideen zu den Posen gehabt und Thomas Karsten gefordert, bis zur Verzweiflung provoziert, auf Distanz zu bleiben. Hier hat der Fotograf dem Modell und das Modell dem Fotografen zu danken. Er wird zum beschriebenen „Dienstleister“ für das Modell (noch intensiver als Richard Kern, der es bei plakativen Posen belässt), der Dank seiner Erfahrung aus jeder vorherigen Liebesbeziehung das Gefühl verbreitet, sich absolut -bis zum Orgasmus- fallen lassen zu können und dabei tatsächlich seiner Ethik treu bleibt, den Körper nie ohne Gesicht zu verstehen. Viel lieber verdreht er diese sozial gestörte Logik. Wer nimmt die Perspektive des Betrachters ein, wer bestimmt den Fokus, ist das Licht, das Licht der Sonne, wer bestimmt, was erlaubt ist, welche sozial aufgesetzten Doktrinen gilt es zu brechen? Alle Fragen und alle Antworten sind unnötig, es bleibt Schönheit, Lust, Demut, ein Fotograf der nicht befreit heimkehren kann. Darin liegt Thomas Karstens Kunst begründet. Mehr Erotik ohne den ästhetisch pornografischen Akt ist nicht möglich. Mehr Geschenke kann man nicht machen. Und die Modelle sind dankbar, ihm immer wieder verfallen zu dürfen. 

Viele Jahre sind vergangen zwischen der erneuten Befreiung des Körpers in der Epoche des Jugendstils (und den folgenden, viel klareren Reformbewegungen), der sich wie in einer zerbrochenen Zeitkurve in einer bestimmten Form des phantastischen Realismus neben den wechselnden Moden der Moderne am Leben erhält und Kriege sowie Gesellschaftsordnungen umgeht. Diese Logik verbreitet sich immer mehr in meinem Kopf – die des Twisters der sozialen Umorientierung, der den normalen Wind der Gezeiten stört. Weil diese Bewegung die gesellschaftlichen Abläufe ignoriert, ist die Form des Körpers im und aus dem Jugendstil oft als Kitsch oder zügellos verschrien bzw. durch die Nähe zur Kunst des Dritten Reiches aus den Büchern verbannt worden. Dieses Schicksal ereilte das Werk vieler großer Künstler, wie Riebicke, Riefenstahl oder Fidus, deren ästhetische Auffassung und Form des Menschenideals fast 1:1 beispielsweise bei Jock Sturges wiederkehren, der ebenfalls dem Wahn der sozialen Ordnung wie in einem verdrehten Zeitablauf des sozialen Gegeneinanders der Gesellschaftsordnungen zum Opfer fiel und noch heute Verleumdungen ertragen muss. 

Doch glücklicherweise sind seit der Klassischen Kunst der Römer und Griechen, die dem nackten Körper huldigten, und die in der Renaissance wiederauflebte, genügend Epochen verstrichen, so dass Sklaverei, die Kluft zwischen Arm und Reich, auch dank wissenschaftlicher Aufklärungsarbeit, verschwunden ist. 

Schönheit kann man ja bekanntlich (ich sage das mit einem kleinen Lächeln auf meinen Lippen) dank der mathematischen Formeln von Vitruv oder Palladio bis hin zu da Vinci berechnen. Ausgehend von diesem Klischee hat der nackte Körper, verkaufsfördernd kraft der niemals endenden Lust der Käufer, über die Werbung und die Pornografie wieder Einzug in unser normales Leben gefunden. Damit einhergehend hat sich eine Selbstverständlichkeit gegenüber der Publikation erotischer Kunst entwickelt. Uns hat in den Neunziger Jahren eine Flut an Veröffentlichungen überschwemmt, aus der es schwerfällt, den Ursprung oder das wahrhaft künstlerische zu deuten. Viele übersehen, dass es Pioniere wie Hamilton, Saudek, Sturges, Ray, Arbus, Platt Lynes, Mapplethorpe, Weston gab, die bis zum heutigen Tag zur Avantgarde zählen. Und es gibt die neuen Künstler wie Kern, Karsten, Sherman, Guibert, Rheims, Goldin oder Berquet, die in einer für sie moralisch sauberen Form das Individuum aus dem Moloch der Gesellschaft befreien. 

Dieses Buch geht in seiner Darstellung weiter als alle bisherigen Publikationen von Thomas Karsten: zum ersten Mal lernt die Figur auf der beiliegenden CD laufen, zum ersten Mal geht das Layout zurück auf die zitierte Antike des Jugendstils bzw. die oben genannte Reformbewegung, zum ersten Mal trifft Drum & Bass und Tekknomusik im Mix mit Klassischer Musik auf das künstlerische Abbild des Menschlichen, und zum ersten Mal wird eine Publikation von Thomas Karsten kultischer Akt der Zusammenarbeit von Künstlern verschiedenster Sparten, um schließlich dem König der Aktfotografie die Krone aufzusetzen.

Die eigentliche Geschichte ist so imposant wie unwichtig, und man erkennt, was im Leben relevant ist. Dasselbe Gefühl hatte ich immer beim Lesen von Hervé Guiberts letzten Büchern, von ihm geschrieben, als ihn inzwischen jede Hoffnung auf Heilung, auf Versöhnung mit seinen Geliebten verlassen hatte und nur noch die kleinen süßen Geschenke geblieben waren, die an das im Menschen ewig andauernde Pochen schmerzlich erinnern, und durch die jede Regung globalen Kriegstreibens auf die kleine Verhältnismäßigkeit eines steifen Penis oder des Entzückens für die aufgehenden Tulpen beschränkt bleibt. Und diese Verhältnismäßigkeit ist so wenig von Klischees abhängig wie eine Geliebte vom Parfüm auf ihrer Haut. 

Das was ausführlich in der Geschichte beschrieben wird, steigert sich im Bild oder wird in eine weitere Phantasie getrieben, um die ‚Sucht an Sich’ zu stillen. Wird in der Erzählung ein Geruch, eine Allee oder eine knarrende Tür relevant, braucht man kein Abziehbild der Landschaft, da greift die ‚Lust an Sich’ (Buchtitel von Thomas Karsten), die vom Fotografen lieb in Szene gesetzt wird. Und ob wir wollen oder nicht, die Perspektiven und Standpunkte bis hin zum Mann hinter der Kamera verschwimmen, steigern sich von einem kleinen Wirbelwind zum Orkan und zeigen sich am Horizont, der, wie alle wichtigen Sehnsüchte, nicht zu erreichen ist, wie mancher Wunsch, dessen tiefster Schmerz auf den Protagonisten selbst zurückfällt; auf die Schriftstellerin, auf das Objekt der Begierde, auf das Objekt der Begierde des Illustrators, auf die Begierde des Betrachters, des Verlegers, des Buchgestalters, auf die Begierde des heimlichen Betrachters, den wir dann am Ende, mit dem Heimlichen des Verbotenen überraschen wollen. 
(Alexander Scholz)

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